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Verdi - Requiem - Werkbesprechung

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Musik im Kampf mit dem Dogma

Giuseppe Verdis Meisterwerk »Messa da Requiem«.

Was bewegte den großen Opernkomponisten Giuseppe Verdi (1813-1901), zeitgleich zu seiner Aida ein Requiem, eine Totenmesse, zu komponieren? Wie so oft bei vergleichbaren Werken der Musikgeschichte, war der Auslöser persönlicher Natur. Im November 1868 verschied der beliebte italienische Komponist Gioacchino Rossini, und um ihm ein zeitloses Denkmal zu setzen, hatte Verdi eine ganz ungewöhnliche Idee: Die bedeutendsten lebenden italienischen Komponisten sollten jeweils einen Satz eines Requiems komponieren, das dann zum ersten Jahresgedächtnis uraufgeführt werden sollte. Verdi selbst, damals schon auf der Höhe seines Ruhmes, stellte sich ganz hintenan und reservierte lediglich den letzten Satz, das „Libera me“, für sich.

So begeistert die Komponistenkollegen von der Idee auch waren, zuletzt scheiterte es damals auf seiten der Ausführenden, wie so oft heute auch, „an den kleinen Jämmerlichkeiten des Alltags, an Eigennutz und Eitelkeit, an der ‚egoistischen Gleichgültigkeit, die die Geißel, das Verderben unseres Landes ist‘„, wie der empörte Verdi in einem Brief schrieb (1).

Und so war es ein weiterer Todesfall, der den vollendeten Satz des Requiems nicht nur vor der Vernichtung bewahrte, sondern für Verdi den Impuls gab, ein vollständiges Requiem zu komponieren: der des von ihm regelrecht abgöttisch verehrten Nationaldichters Alessandro Manzoni im Jahre 1873. Seine aufrichtig tiefe Erschütterung kleidet Verdi in die Worte: „Nun ist alles vorbei und mit ihm endet der reinste, der heiligste, der höchste unserer Ruhmestitel.“

Nach Verdis Auffassung gab es genügend Totenmessen, denen keine mehr hinzuzufügen sei, und doch drängte es ihn unwiderstehlich, am Grabe Manzonis das Gelöbnis abzugeben, diesem ein Denkmal in Tönen zu setzen. Für die Nachwelt ein großer Glücksfall, denn ohne sein Requiem wäre die Kirchenmusik um ein kostbares Stück ärmer!

Hinsichtlich des Textes der Totenmesse führte Verdi, selbst eher ein Freigeist, die langanhaltende Tradition fort, nach der der Text der römisch-katholischen Totenmessen im Jahre 1570 per Dekret als „Missa pro defunctis“ von Papst Pius V. festgelegt wurde. Die Reihenfolge ist: Requiem (Kyrie) – Dies irae – Offertorium – Sanctus – Agnus Dei – Lux aeterna – Libera me. Alle Komponisten, seien es Mozart, Berlioz, Dvorak usw., folgten dieser praktisch unumstößlichen Vorgabe.

Alle? Nein, es gibt eine einzige Ausnahme! Schon einige Jahre vor Verdis Requiem wagte der junge Johannes Brahms das Unerhörte, sich die Texte selbst, in Übereinstimmung mit seinen Empfindungen, aus der Bibel herauszusuchen und „Ein Deutsches Requiem“ op. 45 zu komponieren.

Er weigerte sich auch trotz erheblichen Druckes aus Kirchenkreisen standhaft, irgendwelche Änderungen vorzunehmen! Hinsichtlich der Synthese von tiefgehenden, berührenden Texten und einer unglaublich ergreifenden Musik nimmt dieses Werk demzufolge eine bisher nicht erreichte Sonderstellung ein! (2)

Doch auch von Verdis Requiem geht eine besondere Faszination aus, die ihm triumphale Erstaufführungen beschieden hat und einen bis auf den heutigen Tag nicht nachlassenden, großen Eindruck macht. Dieser Erfolg dürfte in erster Linie in der Musik zu suchen sein; denn Verdi drückt die Umsetzung der Texte in einer, für den kirchlichen Rahmen, schier unglaublichen Dramatik aus! So tritt beispielsweise der 2. Satz, das „Dies irae“, von Anfang an als eine regelrecht apokalyptische Höllenfahrt auf den Plan.

Das brachte ihm, speziell aus dem nördlicheren Ausland, den Vorwurf ein, er habe die Oper in die Kirche verlegt, eine mangelnde Fähigkeit zur Verinnerlichung und dem Ausdrücken-Können „tiefen Glaubens“ durch theatralische Dramatik ersetzt. Doch dem ist nicht so, sondern es handelt sich um die italienische Eigenart, Kunst und Musik bildhaft und anschaulich zu gestalten, was unserer Wesensart manchmal etwas fremd erscheint.



Im „Libera me“, dem Schlußsatz, gerät das ‚Zittern und Zagen vor Deinem Jüngsten Gericht‘ an dieser Stelle zur gelähmten, fast leblosen Starre,
die durch eine lange Generalpause (3. Takt) an Spannung gewinnt.



Über die geniale Komposition des weltbekannten Verdi-Requiems gibt es zahlreiche gute Analysen; ein Aspekt, der sonst nirgendwo erwähnt wird, erscheint mir jedoch als wichtig: Durch die packende Musik und durch das – den meisten Menschen unverständliche – Latein wird die grundsätzlich große Problematik des Textinhaltes, und noch mehr der Textschwingung, gut kaschiert. Um wiederum auf das im Werk zentral stehende „Dies irae“ einzugehen, das den „göttlichen Zorn“, die Abrechnung, das Jüngste Gericht zum Thema hat: Bestenfalls bei einer wirklich guten, überkonfessionellen Übersetzung des Requiem-Textes kann der ursprüngliche Wortlaut wohlwollend so gedeutet werden, daß der Mensch sich als sündig erkennt und demuts- und reuevoll Vergebung und Erlösung erfleht. Es kommt in diesem klerikalen Text der schöpfungsgesetzmäßig zentrale Aspekt nicht zur Sprache, daß der „Zorn Gottes“ nichts anderes bedeutet, als daß die üblen Folgen des menschlichen Handelns nun verstärkt und beschleunigt auf uns zurückfallen! Wohlgemerkt – es trifft uns nichts, das wir nicht irgendwann einmal selbst ausgesät haben! So ist dieses massive Zurückfallen der Folgen unseres Handelns eigentlich nichts anderes als eine Tat der Gottesliebe, die es uns ermöglicht, im Durchleiden dieser Folgen den Entschluß zu fassen, uns zu ändern, zu bessern und in Zukunft eine aufbauendere Aussaat zu tätigen, die uns in der Rückwirkung auch wieder nur Gutes bescheren wird. Diesen Entschluß müssen wir auf Grund unseres freien Willens selbst fassen, und dabei helfen uns die guten wie die schlechten Erfahrungen weiter.

Das aber setzt Lernen, Veränderung und tätiges Handeln voraus; alles Dinge, die uns aufwärts bringen, die uns helfen würden, das zweifellos an die tiefste Wurzel, an die Substanz gehende Jüngste Gericht bestehen zu können! Es setzt aber auch ein sich steigerndes Bewußtsein voraus, als Geschöpf direkt und voll eigenverantwortlich den Gesetzen Gottes gegenüberzustehen. Eine Kirche als unumgänglicher Vermittler zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen ist dazu nicht nötig.

„Tag des Zornes, Tag der Klage, der die Welt in Asche wandelt“ – dieser Text hat natürlich die Menschen besonders vor ca. 500 Jahren, doch teilweise bis heute, stark geängstigt. Auf der anderen Seite der vermeintliche Ausweg: „König schrecklicher Gewalten, frei ist Deiner Gnade Schalten: Gnadenquell, laß Gnade walten!“

Fällt diese Gnadenvermittlung wirklich der Kirche zu – und liegt die „Gnade“ im Glauben an die Erlösung durch den Kreuzestod Jesu?

Übersehen wird dabei, daß eine solche „Gnade“ ein Willkürakt Gottes wäre, der jeder Gerechtigkeit und Vollkommenheit entbehren würde! Ein nicht sehr menschenwürdiges Betteln auf der einen Seite: „Ach, gedenke, treuer Jesus, daß Du einst für mich gelitten; laß mich jetzt nicht untergehen!“ Auf der anderen Seite die recht „selbstbewußte“ Bitte (oder Forderung?): „Laß mich unter Deiner Herde, von der Strafe freigesprochen, dann zu Deiner Rechten stehen.“

Kommen dann noch Übersetzungen wie diese zum Tragen: „Bist mich suchend müd’ gegangen, mir zum Heil am Kreuz gehangen“, und die in sich widersprüchliche Aussage: „Richter Du gerechter Rache, Nachsicht üb’ in meiner Sache“, so zeigt sich auch darin wieder die menschliche Fehleinschätzung, vom Schöpfer willkürliches Handeln einzufordern. -

Trotz dieser Inhalte schafft es Verdis Musik, in ihrer Besonderheit, in ihrer Schönheit, in ihrer sich besonders im „Lux aeterna“ stellenweise zeigenden Ätherisierung, höhere Empfindungen wachzurufen, die der eher problematische Text nicht wecken könnte. Ganz am Schluß, nach dem eher düsteren, mittelalterlich psalmodierenden Sprechgesang des Solo-Soprans, hat die Musik doch das letzte Wort mit einem wunderschönen, reinen C-Dur-Akkord, dem Akkord des hoffnungsvollen Aufbruchs.

Anmerkungen:
1 Fritz Stein, Vorwort Partitur
2 Vgl. GralsWelt 33: „Das Erwecken der Lichtsehnsucht – Brahms: Ein Deutsches Requiem op. 45“

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