Debussy - la mer - Werkbesprechung - ganzheitliches geistiges Wissen

Spirituelle Werte

Geistiges Wissen

für ein besseres, eigenverantwortliches Leben

Direkt zum Seiteninhalt

Debussy - la mer - Werkbesprechung

MUSIK > Werkbesprechungen

Ein Meer aus Leichtigkeit und Farben

Ein Musterbeispiel großer Klang- und Farbsprache in der Musik: Claude Debussys »La mer«.


Malerei und Farbe gehören untrennbar zusammen. Klar! So sind wir gewöhnt, den Begriff „Farbe“ ausschließlich dem Sinnesorgan Auge zuzuordnen: Farben sehen wir!

Doch auch in der Musik kommt der Begriff „Farbe“ vor. Ist es möglich, Farben nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören? Wenn ja, wie können wir uns das vorstellen?

Die Lösung des scheinbaren Rätsels ist einfach. Die enge Verbundenheit von Farbe und Ton zeigt schon das Wortpaar „Farb-Ton“ – „Klang-Farbe“. So kann beispielsweise die Farbe Blau in zahlreichen feinsten Nuancen „getönt“ sein, während wir zum Beispiel ein und dasselbe Wort, je nach unserer Absicht, in der Aussprache unterschiedlich „färben“ können. In der Musik ist die Farbwirkung ganz offensichtlich!

Ein bestimmter Ton, von der Oboe gespielt, hat eine völlig andere Klangfarbe als derselbe Ton von einer Geige, einer Trompete, vom Klavier oder der Klarinette . Doch es geht noch weiter: Musizieren wir, so sind wir bemüht, bei unserem Instrument verschiedene Klangfarben zu erreichen, je nachdem, ob wir zum Beispiel einen fröhlichen Tanz oder aber einen Trauermarsch spielen.

Tiefe Töne empfinden wir überwiegend als dunkler in der Farbe, erdwärts gerichtet und zugleich machtvoll. Sie bilden im wirklichen Wortsinne das Fundament des Klang-Gebäudes! Hohe Töne werden als hell und oft als ätherisiert, lichtwärts strebend empfunden. Grundschulkinder sprechen demzufolge übrigens selten von hohen oder tiefen Tönen, sondern fast immer von hellen oder dunklen.

   »Je höher der Menschengeist in der Schöpfung kommt, desto stärker treten dann Farbe und Ton in ihren Wirkungen hervor, die beide in Wirklichkeit nicht zwei getrennte Dinge, sondern nur eins sind. Dem Menschen erscheinen sie nur als zwei, weil er in seiner Erdenart nicht fähig ist, beides als eins zu erfassen.« Abd-ru-shin



Der Impressionismus (das Werk „Am Strand von Juan-les-Pins“ von Claude Monet) fand auch in der Musik seinen Ausdruck



Weiterhin spielt das Tongeschlecht eines Stückes, also in der Regel Dur oder Moll, eine wichtige Rolle in der Farbwirkung, und jeder Ton, jeder Akkord, jede Tonart, jede Lautstärke, jede Instrumentenkombination klingen in ihrer eigenen Farbe.

Kurz gesagt: Die Klangfarben haben in der Musik eine ganz zentrale Bedeutung! Sie wirken entscheidend mit, welche Empfindungen, welche Stimmungen, welche Bilder ein Musikstück in uns auslöst! Nicht weniger als die Farben und Tönungen in der Malerei!

Die enge Verwandtschaft dieser beiden Künste, zu denen man als dritte auch noch die Dichtkunst hinzuzählen kann, zeigt sich auch in der frappierenden Übereinstimmung der Stilepochen. Die Art des Stils liegt regelrecht „in der Luft“ und verlangt nach Ausdruck! Sei es der stilisierte Barock oder die gefühlsbetonte Romantik oder aber, noch später, der farbenreiche Impressionismus.

Weltberühmt wurden die herrlichen, farbenreichen Bilder von Monet und Cézanne, weltberühmt auch die – etwas später entstandenen – vergleichbaren Kompositionen von Claude Debussy. Mit ihm nahm auch die Musik eine Wendung hin zu großer Leichtigkeit und außergewöhnlichem Farbenreichtum, den es in vergleichbarer Form vorher nicht gab. Damit wurde er zum Pionier und Begründer ganz neuer Wege in der Musik, die aber leider von der etwas später aufkommenden Zwölfton-Musik überlagert und bald nicht mehr weitergeführt wurden. (1)

Das Neue daran ist ein unpathetisches, freies Musizieren ohne direkten Bezug zur romantischen Tradition, mit schimmernden, hellen und gut durchhörbaren Klangfarben, stark erweiterter Tonalität und Rhythmik. Das Sinnliche in der Musik wird wichtig, die Farben. Allerdings – und das ist besonders wichtig – immer „unter Wahrung der ‚geheimnisvollen‘ Gesetze der Schönheit und der Natur“! (2)



Der Partiturausschnitt von „La mer“ zeigt das „Spiel der Wellen“, hier nur von wenigen Stimmen des großbesetzten Orchesters gespielt.
Rasend schnelle Figuren in Violinen, Flöten und Englisch-Horn symbolisieren den Wellencharakter …



La mer – das Meer – ist eine dreisätzige Komposition für großes Orchester von Debussy. „Drei sinfonische Skizzen“, so nennt er in maßloser Untertreibung das großartige, sorgfältigst ausgestaltete Werk. Es trägt scheinbar programmatische Satzüberschriften: „Von der Morgendämmerung bis zum Mittag auf dem Meer, Spiel der Wellen, Zwiesprache des Windes mit dem Meer“. Und doch hat es mit Programmusik, wie zum Beispiel Smetanas „Moldau“ (3), nichts zu tun. Es geht nicht um die direkte musikalische Darstellung des von Debussy sehr geliebten Meeres, sondern um die begleitenden Empfindungen, um das Atmosphärische. So beschließt beispielsweise ein herrlicher, erhabener und machtvoller Choralsatz der Bläser den 1. und den 3. Satz, wohl als Ausdruck entsprechender Empfindungen, die von der Weite des Ozeans und der mächtigen Brandung ausgelöst werden können. Der 2. Satz drückt die empfundene Leichtigkeit und Heiterkeit aus, die der Anblick des sonnenüberstrahlten „Spiels der Wellen“ in uns anklingen lassen kann.

Debussy drückt seine Absicht so aus, daß er „die ganze Poesie der Nacht und des Tages, der Erde und des Himmels, wie sich darin die Atmosphäre beruhigt und im Rhythmus zugleich auch das unaufhörliche Wogen schwingt“, verdeutlichen will.

Unbeschreiblich ist seine geniale Orchesterbehandlung, die Gegenüberstellung oder Vereinigung der Instrumentengruppen, der Wechsel oder aber die Überlagerung von Ruhe und höchster Bewegung, der unglaubliche Farbenreichtum, die häufige Abwechslung der Stimmungsbilder, die ehrfurchtgebietende Macht einerseits und die grenzenlose, vorher nicht gekannte Leichtigkeit andererseits. Es läßt sich mit Worten nicht ausdrücken, man muß es einfach hören!

Und alles immer wieder in Schönheit, trotz der enorm erweiterten Klangmittel und Akkordverbindungen! Die Tonalität als unverzichtbare Grundlage der Schönheit in der Musik wird also niemals verlassen, und deswegen kann Debussy, ähnlich wie Richard Wagner, auch nicht als Vorläufer der später aufkommenden, völlig anders gearteten Atonalität angesehen werden, auch wenn deren Vertreter das gerne so sehen möchten.

„La mer“ bringt uns das pulsierende Leben, das unmittelbare Durchleben der unterschiedlichsten Empfindungen nahe. Und es zeigt uns den außerordentlichen Farbenreichtum der Klang- und Farbsprache Musik!


Hinweise:
1 vgl. GralsWelt 25 „Musik für den Kopf“
2 Riemann: Lexikon der Musik
3 vgl. GralsWelt 35 „Wenn Wasser in Musik verwandelt wird“


Zurück zum Seiteninhalt